Ein Blick in die Frühschicht der Leipziger Straßenreinigung

Im Mai 2023 begleitete die Studentin Hannah Swiatek unsere Kolleginnen und Kollegen der Straßenreinigung bei ihrer Arbeit. Ihre Eindrücke hat sie in einer detaillierten Reportage im Rahmen eines journalistischen Seminars des Bachelors Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Universität Leipzig niedergeschrieben. Einige Textpassagen haben wir entnommen, um auch anderen Bürgerinnen und Bürgern einen Einblick in die Arbeit der Straßenreinigung zu gewährleisten. Danke an Frau Swiatek für den schönen Bericht!

Auszüge aus der Reportage von Hannah Swiatek:

An diesem Dienstagmorgen, ist bis auf das Quietschen einer vorbeifahrenden Tram, Vogelgezwitscher und dem Motorengräusch des orangefarbenen Mülltransporters nichts zu hören. Um kurz nach 6 Uhr herrscht noch gähnende Leere auf dem Richard-Wagner-Platz, der an das blechbüchsenähnliche Einkaufszentrum in der Leipziger Innenstadt grenzt. Martin zieht den Autoschlüssel aus dem Zündschloss heraus, hüpft vom erhöhten Fahrersitz herunter und schließt den Wagen ab. Er schnappt sich eine Greifzange und einen blauen 120 Liter Müllbeutel von der Ladefläche des Pritschenwagens und macht sich an die Arbeit. Herumfliegende Werbezettel, leere Bierflaschen, halbvolle Bubble-Tea-Becher, Zigarettenstummel – alles, was nicht auf Straßen, Gehwege und in Grünflächen gehört, bekommt das Innere des Müllsacks zu sehen. Als nächstes wandert der Blick des 35-Jährigen zu allen kleinen Papierkörben und großen »Garagen”. So nennen die Mitarbeitenden der Leipziger Straßenreinigung die circa 1,50 Meter hohen, quaderförmigen Abfallbehälter. Routiniert zieht Martin die Müllsäcke mit beiden Händen an ihren Enden heraus und prüft, ob sie ausgewechselt werden müssen. […]

Laufrouten

Zusammen mit fünf anderen Straßenreiniger:innen bildet er alle zwei Wochen das Team für die Frühschicht im Leipziger Zentrum. Dann sind sie von Montag bis Samstag jeweils von 6 Uhr bis 14:30 Uhr im Innenstadtbereich unterwegs. In den anderen Wochen besetzen sie die Spätschicht bis 22 Uhr. Die wird allerdings an fünf statt an sechs Tagen die Woche eingesetzt. […] Wieder im Auto streckt sich der ausgebildete Tischler zur Ablagefläche unter der Windschutzscheibe und greift eine DIN A4 große Karte, auf der sechs farbige Routen markiert sind. Das sind die Laufrouten von Martins Kolleg:innen, die zu Fuß als manuelle Kräfte in der Innenstadt unterwegs sind. Jeder und jede von ihnen hat einen eigenen zugeteilten Weg, der Tag für Tag gleich bleibt. Durch diese Routine wüssten alle, an welcher Ecke, was zu tun ist und können die Arbeit schneller erledigen. Heute sind statt sechs allerdings nur fünf Routen besetzt, weil ein Mitarbeiter krank geworden ist. […] Als Kraftfahrer, auch Vorarbeiter genannt, ist Martin heute »Mädchen für alles”: Er fährt die verschiedenen Wege ab, greift den anderen unter die Arme, wo Hilfe benötigt wird und sammelt volle Müllsäcke mit dem Transporter ein. […] Angekommen am Wilhelm-Leuschner-Platz lehnt seine Kollegin, eine der manuellen Reinigungskräfte, gerade zwei volle Müllsäcke an einer Straßenlaterne an – extra im direkten Sichtfeld für Martin platziert. Neben ihr stehen ihre Requisiten: Ein Putzkarren ausgestattet mit zwei großen Müllbeuteln, Besen und Greifzange. […] Vorbei an der Thomaskirche geht es über den Innenstadtring in Richtung Hauptbahnhof. Auf den bepflanzten Grünflächen am Fahrbahnrand sind in regelmäßigen Abständen Teams der Grünanlagenpflege zu sehen. Die Grünanlagenpflege ist genauso wie die Straßenreinigung ein gesonderter Bereich der Stadtreinigung. Auch sie sind seit den frühen Morgenstunden in Leipzig unterwegs und kümmern sich um alles, was wächst und gedeiht – oder auch um das, was es nicht mehr tut. Momentan ist es Zeit, die verwelkten Frühjahrspflanzen gegen die neue Sommerbepflanzung auszutauschen. Während die Mitarbeitenden hockend und bückend ihre kleinen Schaufeln in die Erde stechen, macht Martin mit einem kurzen Hupen auf sich aufmerksam und grüßt seine Kolleg:innen mit einem Handzeichen. […] 

Begegnungen

Nächster Halt: Willy-Brandt-Platz gegenüber vom Hauptbahnhof. Auch dort warten bereits drei volle Müllsäcke auf Martin, die von zahlreichen Passant:innen gekonnt umrundet werden. Ein paar Meter weiter winkt er einem seiner Kollegen zu, der mit aller Anstrengung versucht, einen ausgebeulten Papierkorb wieder in seine zylinderförmige Halterung zu stecken, bevor er schließlich seine Route fortsetzt. Aus dem kleinen Park hinter ihm ertönt unerwartet das Klirren von Glasflaschen, die aneinandergestoßen werden. Unerwartet deshalb, weil man dieses Geräusch um 9 Uhr morgens eher selten zu hören bekommt. Um eine Parkbank herum verteilen sich fünf Männer, die ihr erstes Bier in der Hand halten. Vielleicht aber auch ihr zweites oder drittes. Neben ihnen stehen zwei Einkaufswägen gefüllt mit Schlafsäcken und Isomatten. Die meiste Zeit würden die Kräfte der Straßenreinigung nicht beachtet werden, aber manchmal komme es schon zu der ein oder anderen verbalen Auseinandersetzung. Am häufigsten mit Menschen, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stünden und sich auf ihren »Stammplätzen” von Martin und seinen Kolleg:innen gestört fühlten. […] Auf den Straßen des Leipziger Innenstadtrings herrscht inzwischen reges Treiben und auch der mittlerweile gut beladene Mülltransporter kommt nicht mehr ganz so reibungslos durch die engen Wege des Stadtzentrums. Immer wieder bremst Martin abrupt und weicht Fußgänger:innen und Fahrradfahrer:innen aus, die den Wagen der Stadtreinigung trotz der auffällig orangenen Farbe zu übersehen scheinen. Den Weg kreuzt auch eine der kleinen elektronischen Kehrmaschinen. Mit ihren zwei runden, in höchster Geschwindigkeit rotierenden Besenaufsätzen an der Vorderseite, hat jeglicher Müll und Dreck am Rand der Gehwege keine Chance. […] 

Abfallpresse

Die E-Kehrmaschine verschwindet im Rückspiegel, als Martin in die Einfahrt eines großen Innenhofes abbiegt. In der Mitte des von grauen Gebäuden umrahmten, grau gepflasterten Hofes steht, wie es sich für das Markenzeichen der Stadtreinigung gehört, eine orangefarbene Müllpresse. Ein Müllsack nach dem anderen wird jetzt in das Innere des Metallcontainers geworfen. Aber auch hier ist Vorsicht und Aufmerksamkeit gefragt: Martin zeigt immer wieder auf Exemplare, die von Nägeln, Holzstöcken oder kaputten Glasflaschen durchbohrt wurden. Als circa 25 Säcke von der Presse unter Knarren und Knirschen verschluckt wurden, ist die Ladefläche wieder leer. Ungefähr zwei bis dreimal muss der Transporter pro Frühschicht hier entladen werden. Im gesamten Bereich SRH1 fallen nach jeder Frühschicht pro Tag ungefähr acht Tonnen Abfall an – darin enthalten ist neben herkömmlichen Müll auch Laub und Grünschnitt. […] Ihre Karren vor sich her schiebend, biegen jetzt auch langsam alle anderen fünf Straßenreiniger:innen in den Innenhof ein. Für viele ist um 10 Uhr Frühstückszeit, für das Team der Frühschicht heißt es jetzt allerdings »Mittagspause”. […] 

5 bis 8 Kilometer pro Tag

Über vier Jahre arbeitet die Gruppe schon in dieser Konstellation zusammen – manche sind seit mehr als 25 Jahren bei der Stadtreinigung, andere seit circa sechs Jahren und alle sind auf unterschiedlichen Wegen dort gelandet. […] Nach einer halben Stunde klopft der Erste auf den Tisch. »Weiter geht’s!”. Fünf bis acht Kilometer legen die manuellen Kräfte zu Fuß pro Schicht zurück. Die Hälfte haben sie schon geschafft. Jetzt noch weitere vier Stunden, bis sie von der Spätschicht abgelöst werden. Insgesamt werden laut Angaben der Stadtreinigung pro Jahr gut vier Erdumrundungen Gehweg und Fahrbahn in Leipzig gereinigt – um genau zu sein rund 179,127 Kilometer. Martin bleibt der Fußweg als Kraftfahrer heute erspart. Trotzdem freut er sich auf den Feierabend, denn morgen früh klingelt sein Wecker wieder um vier Uhr. »Manchmal fragt man sich schon: Warum tun wir das jeden Tag? Aber was uns antreibt, sind die Leute, die nach Leipzig kommen, eine saubere Stadt erleben und ein Lächeln im Gesicht haben.”

Martin ist Vorarbeiter bei der Straßenreinigung

Veröffentlicht am Di, 25. Juli 2023.

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